Nachdem ich nun die Geschichte der
Verkehrspuppenbühne der Polizei in Hamm geschrieben habe, wurde ich
mehrfach gefragt, wie den nun der „Kasper“ als solcher entstanden ist.
Zunächst musste ich hier passen, erinnerte mich dann aber an einen
Kollegen, der sich seit Jahren mit dem „Kasper“ der Verkehrspolizei
beschäftigt hat. Sein Artikel dazu ist eine der besten Arbeiten, die
ich zur Geschichte des „Kasper“ gelesen habe. Mit seiner Einwilligung
stelle ich daher diesen Artikel hier ein. |
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Die Geschichte des „Kasper“.
von Polizeihauptkommissar Heinrich
Klockenbusch, Hamm. |
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Archäologische Funde und ethologische Studien liefern
uns Hinweise darauf, dass Puppen in verschiedenen Formen und Arten
vermutlich ständige Begleiter des Menschen waren und auch weiterhin sein
werden. |
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Eine Vorform der Spielpuppe, der „Popanz“. Ein
Fetisch häufig mit menschlicher oder menschenähnlicher Form. Er wurde in
der Hauptsache zu religiösen und zeremoniellen Feierlichkeiten genutzt.
In der frühen Vorgeschichte Europas sind u.a. solche Fetischpuppen in
Bäume gehängt worden, um böse Geister zu vertreiben. Die Puppen waren
Ersatz für den notwendigen persönlichen Einsatz. |
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Der allgemein übliche Glaube an die magische Kraft
der Puppen verlor sich jedoch bald in Europa. Er ist jedoch in Sagen,
Legenden und Märchen und vielen Brauchtumsfesten sichtbar erhalten
geblieben (z.B. im Tanz der Hexen und Pfeifer im Schwarzwald und in der
Schweiz). |
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Das Theater mit Puppen bekommt in Europa im
Mittelalter eine besondere Bedeutung. Im „Hortus deliciarum“ der
Äbtissin Herrad von Landsperg von 1170 werden in einer Zeichnung
Tischpuppen in Ritterrüstungen gezeigt, die horizontal an Schnüren
bewegt werden. Der Minnesänger Hugo von Timbergen berichtete von
Gauklern des 13. Jahrhunderts, die auf Märkten das Publikum mit
Puppenspieltheater zum Lachen und Weinen brachten. So werden kirchlichen
und gesellschaftlichen Normen und Werte über das Spiel mit den Puppen an
das Volk weitergegeben. Märchen, Sagen und Legenden dienten bei den
Theaterstücken als Grundlage. Eine wichtige Aufgabe, da die meisten
Menschen zu dieser Zeit Analphabeten waren. |
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Die Festlegung auf bestimmte Spielfiguren mit fest
zugeschriebenen Charakteren und menschlichen Unzulänglichkeiten, die in
jedem Spielstück in immer gleicher Art und Weise nahezu „archetypisch“
auftauchen, ist eine Erscheinungsform des 16. Jahrhunderts. Mitte des
16. Jahrhunderts entstand darauf u. a. die weltbekannte „Commedia
dell`arte“ in Italien. Wer kennt nicht den in Federn gekleideten „Arlecchino“
der trotz Armut immer lustig und vergnügt ist und eine schwarze Maske
trägt, weil sein Vorfahre „Harlequin“ aus den französischen Legenden um
1100 war. Auch „Pantelone“, der dumme, oft verliebte und verspottete
schrullige Alte dürfte bekannt sein. |
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Die „Commedia del` arte“ gibt bereits kurz nach ihrer
Entstehung Gastspiele in Frankreich und England. Italiens „Punchinella“
nistet sich daraufhin in England als „Punch“ und in Frankreich als „Punchinello“
ein. |
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Neben dieser Entwicklung bekam im deutschsprachigen
Raum aber auch noch eine weitere Figur zunehmende Bedeutung. In der
Zeit um 1500 wird in einigen Schriften auf den „Hans Wurst“ hingewiesen
(z.B. in Schriftstückender Jahre 1530 und 1541 von Martin Luther). Es
handelt sich um eine Puppe mit menschlichem Aussehen, dem eben alles
egal bzw. „Wurst“ ist und der nur Unsinn im Kopf hat. Eine
proletarische, tölpelhafte Figur mit viel „Bauernschläue“ war dieser
„Hans Wurst“ . Seine Karriere ist insbesondere auf das sog. „fahrende
Volk“ zurück zu führen, die ihre Vorstellungen für die Allgemeinheit
gaben. In Zeiten der Unterdrückung des Volkes durch die herrschende
Klasse hatten diese gespielten Frechheiten eine gewisse Ventilfunktion.
Der „Hans Wurst“ wurde zur Identifikationsfigur für eigene Gedanken, die
nicht ausgesprochen werden konnten oder sollten. So wurde diese Figur
eine Art „Stellvertreter“ oder ein „ Hilfs-Ich“ für die „Volksmeinung“ .
Er hatte die Rolle eines unangreifbaren Revoluzzers. Es ist nur
natürlich, dass dieser „Poltergeist“ schon nach sehr kurzer Zeit unter
verschiedenen Namen in sehr vielen Ländern der Erde anzutreffen war. |
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In England heißt „Hans Wurst“ – „Jack Pudding“ oder „Punch“,
in Russland „Petruschka“, in Usbekistan „Palvan Katschal“, in Rumänien „Vasilache“,
in Brasilien „Joao Redondo“, in Spanien „Don Christobal“, oder „Polichinela“,
auf Java „Semar“, in Frankreich „Jean Potage“, in Indien „Vidushaka“, in
Italien „Punchinella“, in der Schweiz „Hans Joggli“, in den Niederlanden
„Jan Khassen“, in Tschechien „Kasparek“ usw. |
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Das derb, zotige, freche und teilweise revolutionäre
Auftreten des „Hans Wurst“ führte im 18. und 19. Jahrhundert sogar zu
zahlreichen Aufführungsverboten bzw. zur Zensur von Spielstücken durch
die weltliche Obrigkeit. Sie vermutet, das Volk könne durch den Konsum
solcher Spielszenen nachhaltig aufgewiegelt werden. Auch der Klerus
schloß sich teilweise dieser Haltung an. Das Puppenspiel wurde in
Predigten zu verbotenem „Teufelswerk“, die Spieler zu gefährlichen
„Satansdienern“ gemacht. |
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Sicherlich war dieser Obrigkeitsdruck ein Grund für
eine Namens- und Charakteränderung unseres „Revoluzzers“. Der in
Deutschland „umerzogene“ „Hans Wurst“ hieß nun, (vermutlich in Anlehnung
an seinen tschechischen Verwandten „Kasparek“ ) „Kasper“ Kaschperl oder
„Kaserle“ mit dem Image eines temperamentvollen, schlauen,
schlitzohrigen, witzigen und überaus dominanten Gewinners, der sich
nicht mehr für dumm verkaufen lässt. Seine Probleme regelt er,
insbesondere im sog. „Jahrmarktgeschäft“, mit absoluter körperlicher
Gewalt. Als Hilfsmittel dienen ihm Bratpfanne, Pritsche und viele andere
Gegenstände. |
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1921 bekommt der Kasper ein neues Aussehen. Nach
Entwürfen von Max Jakob entsteht durch den Schnitzer Theo Eggnitz im
Erzgebirge der erste „Hohensteiner Kasper“. Das Aussehen ist bei diesem
„Kasper“ und seinen „Hohensteiner Verwandten“ bis in die heutige Zeit
nahezu erhalten geblieben. |
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Mit der Geburt des „Hohensteiner Kasper“ bekommt
diese Figur aber auch eine zusätzliche Aufgabe. Er wird Erzieher. Die
große Wirkung, die Puppenspiel auf den Menschen hat, wird bewusst zur
Vermittlung von Lerninhalten genutzt. So wurde der Kasper die Leitfigur
des traditionellen, neuzeitlichen Puppenspiels. Seine Popularität wurde
so groß, dass viele Menschen auch in der heutigen Zeit vom
„Kaspertheater“ sprechen, wenn sie das Puppenspiel im Allgemeinen
meinen. |
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Der Lehrer Friedrich Arndt setzt das Puppenspiel als
Methode im Unterricht. Er erkannte sehr schnell, dass diese Methode zu
erheblich schnellerem und nachhaltigeren Lernerfolgen bei den
Schülerinnen und Schülern führte. Seine niedergeschriebenen
Beobachtungen setzten den Grundstein zum sog. pädagogischen Puppenspiel. |
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Besonders in den letzten Jahren beschäftigt sich auch
die Wissenschaft mit dem Puppenspiel als Lernmethode. Auch das
polizeiliche Präventionspuppenspiel ist mehrfach von verschiedenen
Hochschulen auf seine Effizienz untersucht worden. (letztmalig – FHS
Oldenburg, Ostfriedland, Wilhelmshaven, Prof. Klaus-Meyer-Dettum, Dipl.
Päd. KarinBuse 14.02.2003). Selbst die Deutsche Polizeiführungs-Akademie
in Münster-Hiltrup, hat sich damit befasst (Seminararbeit –
Verkehrsicherheit, Polizeidirektor Rosenberg, PHK Thomas Decken. 01/
1997. Erwartungsgemäß kamen alle Untersuchungen zu dem gleichen
Ergebnis. Der Behaltenswert – und das nach einem Jahr geprüft – liegt
bei 95 % der Inhalte. Diese Ergebnisse haben überzeugt. Effizienter
können Personal- und Sachmittel der Polizei – also Staatsgelder - wohl
kaum im Sinne der Bürger eingesetzt werden. |
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Der „Kasper“ hat in der heutigen Zeit seine dominante
„Alleinherrschaft“ auf den Bühnen an Figuren wie „ Pinocchio“, „Samson“,
den „Launebären“, „Bob den Baumeister“ und viele andere Zeitgenossen
abgeben müssen. |