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Wehrmachtsbericht
Bildseite 9
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Das Ende des II. Weltkrieges, aus der Sicht der Hammer Polizei.

 

Von Polizeihauptkommissar  a. D. Siegfried Paul

 

Tagebuch des David Rethage, geb. 1888, aus Hamm.

 

David Rethage war kein Angehöriger der Hammer Polizei. In seiner Tagebuchaufzeichnung werden jedoch die Schilderungen des Polizeidirektor Dr. Rotmann, soweit sie den 6.4.1945 betreffen, bestätigt. Rethage hat zu den Ereignissen zum Kriegsende in Hamm Tagebuch geführt. Die Abschrift des Tagebuches habe ich von der ehemaligen Stadtarchivarin, Frau Ilsemarie von Scheven erhalten. Das Tagebuch selbst befindet sich im Besitz der Familie Holesch. Soweit mir bekannt, wurde dies Tagebuch noch nie veröffentlicht, es stellt nach meiner Ansicht jedoch ein zeitgenössisches Dokument erste Güte da. Hier nun die Niederschrift des David Rethage:

 

29. März 1945. (Schilderung von Flüchtlingsströmen aus dem Ruhrgebiet vor der heranrollenden amerikanischen Armee.) So sah ich heute morgen auf der Straße von Herringen nach Hamm eine junge Frau, die mit der linken Hand einen Kinderwagen schob, worin sich ein Säugling befand. Mit der rechten Hand zog sie einen sehr hoch beladenen vierräderigen Handwagen, auf dessen Gepäck ein ungefähr vierjähriges Kind thronte und leise vor sich hin weinte. Auch viele voll beladenen Pferdewagen rollen dem Osten zu. Sogar Autos mit Gepäck sieht man auf der Flucht nach Osten. So grau wie die Zukunft aussieht, so grau ist auch das Wetter.

 
30. März 1945. (Allgemeine Lage). Aber am 30.März 45 wurde auch hier die Lage ernst. Am frühen Morgen desselben Tages tauchten die schlimmsten Gerüchte in unserer Stadt auf. Der Feind stehe schon 30 km vor Münster und die Panzerspitzen hätten bereits Paderborn erreicht. Alles wartet gespannt auf den Wehrmachtbericht. Als er dann um 2,15 Uhr bekannt gegeben wurde, wurden die Sensationsgerüchte fast restlos bestätigt. (Vermerk: Auszüge des Wehrmachtsberichtes vom 30.3.1945 drucke ich in der Anlage ab. Der Verfasser).Mit dem Näherkommen der Front hat sich auch das Geschützfeuer in erheblichem Maße verstärkt. Es steigert sich im Laufe der Nacht zum 31.3.45 so stark, dass man von 2 Uhr Nachts an kein Auge mehr zumachen konnte. Viele Leute sind daher aufgestanden, haben sich angezogen und bleiben auf. Vereinzelte sind zu den Bunkern gelaufen um dort Schutz zu suchen weil sie glaubten, der Feind stehe schon vor den Toren unserer Stadt. Ich selbst bleibe liegen.
 

31.März 1945. Auch am heutigen Tage nehmen die Sensationsgerüchte kein Ende. Der Amerikaner steht in Werne an der Lippe und in Drensteinfurt und schießt nach  Dortmund hinein ? Abends kommt ein Nachbar von Heessen und erzählt, die Amerikaner stehen auf dem Hardinghauser Knapp ? Ein anderer erzählt, sie ständen in Werne und Kamen. Ob etwas Wahres an diesen Gerüchten ist, konnte ich nicht feststellen. Der Wehrmachtsbericht gab bekannt....(Vermerk: siehe Anlage Wehrmachtsbericht vom 31.3.45, der Verfasser).

Damit ist der Ring um das Ruhrgebiet bezw. Westfalen-Süd bis zu vierfünftel geschlossen. Wir sind gefangen, ein Entrinnen gibt es nicht mehr.

 

1.April 1945. Heute ist der erste Ostertag. Das Wetter ist sehr stürmisch und regnerisch. Die Nacht war sehr unruhig. Heftiges Geschützfeuer ringsum ließ uns wieder nicht schlafen. Mehrmals  wurden einige Geschützsalven in die Stadt hinein geschossen. Man konnte auch das Heulen und Zischen der Geschosse hören. Nach Aussagen eines Nachbarn sind einige Häuser getroffen. Die Gerüchte gehen weiter. Augenblicklich stehen die Amerikaner jenseits der Lippe. Die Lippe- und Kanalbrücken bei Tengelmann sind heute morgen gesprengt !  Wir haben keinen Strom und kein Licht und können keine Rundfunknachrichten hören da das Kabel, welches über die Lippe führte, gerissen ist. Hamm ist zur Festung erklärt und wird bis zum Letzten verteidigt. Eine Frau B. kommt soeben aus dem Bunker nach Hause und holt sich was zu essen.

Der Kampf um die Stadt soll noch heute beginnen. Trotzdem wir zur Zeit keinen Alarm haben sind die Bunker überfüllt mit Menschen. Alle fürchten den Angriff. Sie fühlen sich im Bunker am sichersten. Wir sind alle drei zu Hause. Während ein großer Teil der Bevölkerung von Hamm sich in größter Aufregung befindet, haben wir drei unseren Osternachmittagsschläfchen gehalten. Ein Osterspaziergang lässt sich wegen des schlechten Wetters und der Luftgefahr leider nicht machen. Die feindliche Fliegertätigkeit ist seit den letzten drei Tagen sehr gering. Soeben erzählt mir ein Nachbar, er hätte in der Gegend von Radbod einen brennenden Panzer gesehen.  Um  5 Uhr nachmittags kam ein Amtswalter von der Partei, Potthoff, ging von Haus zu Haus und gab bekannt, dass Frauen und Kinder sich bis zum Anbruch der Dunkelheit in die Bunker zu begeben hätten. Männer dürften nicht hinein. Die Stadt wird verteidigt bis zur letzte Patrone ?. Weiter wird erzählt, dass einige Amtswalter gestern Abend die Stadt verlassen wollte. Sie wurden aber bei Lippmann von Soldaten angehalten und wieder zurückgeschickt. Wir gehen nicht zum Bunker, wir bleiben in unserem Keller. Wir haben schon so manchen schweren Bombenangriff in Hamm erlebt und haben unsere  Nerven dabei  nicht verloren, wenn auch ab und zu mal ein Nervenstrang gerissen ist. Er wurde immer wieder zusammengeflickt und gestählt und wir werden auch diesesmal nicht den Kopf verlieren und dem Sturm standhalten und nicht umfallen. Denken wir an das schöne Lied „Im Leben geht alles vorüber“ oder „In 50 Jahren ist alles vorbei“.

Abends um 8 Uhr erhielt ich von einem Nachbar noch eine bedeutsame Nachricht. Alle Parteigenossen hätten den Bescheid bekommen ihre Mitgliedsbücher zu vernichten !???. Ob es ihnen was nützen wird?. Kurz nach 8 Uhr gingen wir ins Bett. Der Sturm brauste um die Häuserecken und sauste durch die scheibenlosen Fenster ins Innere der Häuser und brachte die Pappendeckel, womit die Fenster vernagelt sind in zitternde Bewegung, wodurch knallende Geräusche entstanden, die sich anhörten als ballerte ein Maschinengewehr. Ab und zu schoß motorisiertes Geschütz ganz dicht über uns hinweg und ließ uns oft im Schlafe aufschrecken. Irgendwo in der Ferne hörte man das Grollen der Front. Und dann---- schlafen wir im wiegenden Rhythmus des Sturmes ein. ( Vermerk: siehe Wehrmachtsbericht vom 1.4.1945 in der Anlage. Der Verfasser.)

 

2. April 1945. II. Ostertag. Wir haben gut geschlafen, besser als die beiden vorhergehenden Nächte. Der Sturm rast immer noch. Manchmal wird er vom Geschützfeuer der Amerikaner, die die Stadt beschießen, übertönt. Es ist über Nacht nichts passiert. Die Lage ist noch ungeklärt. 2 Uhr nachmittags. Die Amerikaner marschieren jenseits der Lippe. Alle Lippe- und Kanalbrücken sind gesprengt. Nur die Eisenbahnbrücke über Kanal und Lippe am Hafen soll noch unversehrt sein. Wie mir soeben ein Nachbar berichtet, sind über diese Brücken einzelne Spähtrupps der Amerikaner in die Stadt eingedrungen und haben sich östlich der Dortmunderstraße im Fabrikgelände der Westf. Draht-Industrie eingegraben. Vom Süden aus Berge, wird diese Brücke von deutscher Artillerie beschossen !?  Im Hafengelände und an der Wilhelmstraße stehen Polizeimannschaften und Soldaten mit Maschinengewehren und Panzerfäusten bewaffnet und wollen die Stadt verteidigen !?

Um 5 Uhr nachmittags kommt unser Hausnachbar De. aus der Stadt zurück und erzählt, Post und Bahnhof wären von Engländern und Kanadiern besetzt. Auf der Wilhelmstraße wäre ihm ein SS-Batl. von Lippmann aus entgegen gekommen um die Stadt zu verteidigen ? In der Stadt hätten schon Straßenkämpfe stattgefunden. ?  Die Stadt wird trotzdem beschossen !  Trotzdem gehen wir um ½ 10 Uhr zu Bett. Aber dann setzte eine neue Beschießung ein. Sie krepieren ganz dicht in unserer Nähe und wir sahen uns gezwungen aufzustehen und uns anzuziehen. Kurze Zeit später gingen wir dann wieder zu Bett. (siehe Wehrmachtsbericht vom 2.4.1945 in der Anlage)

 

3. April 1945. Die Beschießung hielt die ganze Nacht an. An ein ruhiges Schlafen war nicht zu denken. Erst gegen Morgen um 4,30 Uhr als ein starker Landregen einsetzte, hörte die Kanonade auf. Freund und Feind suchten Schutz vor dem Regen. Im ersten Weltkrieg sagten wir immer „Bei schlechtem Wetter fällt der Krieg aus“ oder „ er findet im Saale statt“. Dann konnten wir ruhig schlafen.

Als ich um 8 Uhr mit dem Rade losfuhr um Milch zu holen, drang ich über Lange Straße und Wilhelmstraße bis zur Augustastraße vor. Weiter konnte ich nicht. Ich musste umkehren, denn an der Westf.- Drahtindustrie auf der linken Seite standen Amerikaner. Jenseits des Bunkers am Vorheider Weg der Stadtmitte zu, zum Bahnhof, sieht man keinen Menschen. Nur einige Posten mit Maschinengewehren und Panzerfäusten beherrschen die Wilhelmstraße bis zum Bahnhof. Diesseits des Vorheider Weges und der Ackerschule herrscht reges Leben. Nicht so wie in normalen Zeiten, aber man sieht Menschen durch die Straßen hasten. Sie kommen aus den Bunkern und eilen zu ihren Wohnungen um Besorgungen zu erledigen und dann so schnell wie möglich wieder den Bunker aufzusuchen. Überall sieht man Soldaten und Posten in den Häusernischen. Stündlich wird der Angriff der Angloamerikaner erwartet. Es wird zu heftigen Straßenkämpfen kommen, denn die Stadt soll verteidigt werden ???

Um 9 ½ Uhr Morgens, als der Regen etwas nachließ, setzte die Kanonade wieder ein. Einige Geschütze, welche dicht in unserer Nähe, am Daberg im kleinen Eichenwäldchen stehen, erschreckt uns immer wieder mit ihrem lauten Getöse. Es schießt über uns hinweg nach Norden.  1 Uhr Mittags, und dann antworten die Amerikaner. Die Geschosse kommen von Norden. Vielleicht von Heessen.  Ich stand auf der Lange Straße. 6 – 8 Geschosse sausten über mir hinweg. Die ersten schlugen am Daberg ein. Die anderen auf dem Herringer Weg beim Bauern Gorhold.  Am Nachmittag kam der Artl. Beschuß näher. 4 Schuß am Römer Weg und zwischen Römer Weg und unserer Siedlung. Da wir keinen Strom haben und keine Nachrichten hören können, auch keine Zeitung mehr bekommen, wissen wir nicht was in der Welt oder an der übrigen Front in Westdeutschland vor sich geht. Soeben berichtet mir ein Nachbar, dass der Wehrmachtbericht berichtet hat, dass Paderborn und Lippstadt von den Angloamerikanern besetzt sind. In Werne und in Hamm fanden Straßenkämpfe statt. Drei Mann vom Volkssturm Sauerland aus Herringen sind dabei gefallen. Sie heißen Fritz Reinke und Albert Mahnke und ein Unbekannter. Abends nahm die Kanonade an Heftigkeit zu. Die Schule auf der Langestraße, 150 m von uns entfernt, bekam einen Treffer. Infolgedessen sehen wir uns gezwungen im Keller zu schlafen. Oben ist es zu unsicher.  Wir schlafen im Keller.

Es blieb uns keine andere Wahl. Der Mensch braucht Schlaf, den man oben nicht findet, weil man mit angestrengten Sinnen dauernd auf das Einschlagen der Granaten horcht. Kaum ist man wieder eingeschlafen, fährt man wieder erschreckt auf und denkt und sinnt und glaubt es wäre wieder näher eingeschlagen. (Siehe Wehrmachtsbericht vom 3.4.45.. der Verfasser)

 

4. April 1945. Die erste Nacht im Keller haben wir gut überstanden. Es wurde noch lange geschossen. Nach Mitternacht ließ die Kanonade nach. Wir schliefen ein. Und fühlten uns sicherer und ruhiger. Als ich aufwachte war es schon hell. Die Knochen taten uns weh. Den wir hatten in den Luftschutzbetten und auf dem Chaiselon geschlafen. Im Bett schläft es sich weicher. Aber wir werden uns schon daran gewöhnen. Heute Vormittag war die Artl. Tätigkeit geringer als an den drei vorhergehenden Tagen. Kurz vor Mittag flogen einige viermotorige Verbände in nordwestl. Richtung über uns hinweg. Wir hatten keinen Alarm. Auch am Nachmittag wurde fast gar nicht geschossen. In der Stadt ist es ruhig. Post, Bahnhof, alles steht still. Keine Zeitung erscheint. Wir sind von der Außenwelt, von Deutschland abgeschnitten. Kein Licht, kein Radio. Nur ganz langsam tröpfelt das Wasser aus den Kränen in den Keller. Manchmal des Nachts und des Morgens ganz früh, steigt es bis zum Kran im Badezimmer. Wenn man durch das Fenster auf die Gärten und Wiesen sieht, wo alles grünt und sprießt und den Kindern auf den Straßen beim lustigen Spiel zusieht, denkt man gar nicht an Krieg. Nur dann und wann, wenn ein paar heulende Granaten über uns hinweg sausen und mit lautem Krachen explodieren und Dreck, Erde und Staub uns Qualm aufwirbeln, da laufen die Kinder Schutz suchend in die Häuser, und man wird wider daran erinnert, dass rings um uns der Krieg sein todbringendes Maul aufreißt.  Der Tag war ziemlich ruhig.  Wir schlafen zum zweiten Mal im Keller. Mein Nachbar, der den Wehrmachtsbericht von heute gehört hat,  erzählt mir, die Angloamerikaner haben Rheine und Osnabrück besetzt. Um Münster wird noch gekämpft. Auch Bielefeld sei genommen. Sie nähern sich Herford. In Mitteldeutschland stehen sie vor Goslar. (siehe Wehrmachtbericht vom 4.4.45 in der Anlage. Der Verfasser.)

 

5. April 1945. Die Nacht war sehr ruhig. Wir haben gut geschlafen. Um 8 Uhr holte ich von Kiffmeier die Milch. Dann fuhr ich in die Wilhelmstraße dem Bahnhof zu. Ich wollte zur Feidikstraße um nach Grete zu sehen. Als ich an der Unterführung in der Bahnhofstraße war, knatterte auf der anderen Seite der Unterführung in der Bahnhofstraße oder Göringstraße ein Maschinengewehr. Ich musste umkehren. Auf der Dortmunderstraße schlug eine Granate von Bockum-Hövel kommend 10 Meter von mir entfernt im Garten ein. Unverletzt fuhr ich weiter. Nur Dreck und Erde und Staub spritzte mir ins Gesicht. Heute wurden im Bunker Lebensmittelscheine ausgegeben. Jede Person bekommt nur einen Schein. Der Schein hat 60 Punkte (Nummern). 1500 Gr. Brot und 20 Gr. Fett. Die Nummern werden aufgerufen. Immer wieder tauchen neue Gerüchte auf. Heute morgen wurde erzählt, das der Bunker auf der Feidikstraße, wo Grete sich befindet, die weiße Flagge gezogen hätte, auch der Bunker am Vorheider Weg. Ich habe festgestellt daß es nicht wahr ist. Hugo Wolf, einer der höchsten Amtswalter von Hamm, Stadtverwalter, auch Stadtkommandant soll er sein, sei im Ring erschossen aufgefunden worden ??? Er wollte flüchten. Kurze Zeit später kommt jemand an und sagt, alles soll in die Bunker oder in die Keller gehen. Es geht bald los, die Stadt soll beschossen und gestürmt werden !???  Um 5 Uhr wurde Butter verteilt. Pro Kopf ¼ Pfund. Am Nachmittag wurde die Stadt, besonders der Westen, wieder heftig beschossen. (siehe Wehrmachtbericht vom 5.4.45 in der Anlage. Der Verfasser.)

 

6. April 1945. Ich habe wieder oben im Schlafzimmer geschlafen. Im Keller ist mir das Lager zu hart. Die Nacht war sehr unruhig. Die Stadt lag ständig, mit nur kurzen Unterbrechungen, unter angloamerikanischem Geschützfeuer. Es war  bedeutend heftiger als die beiden vorhergehenden Nächte. Trotzdem habe ich sehr gut geschlafen. Man gewöhnt sich allmählich daran.  Heute morgen wurden Eier verteilt. Leider haben wir noch keine mitbekommen. Auch drei Zigaretten wurden pro Mann verteilt.

Der Polizeidirektor schien heute morgen im Bunker am Forsterhauser Weg und hielt eine Rede. U.a. gab er bekannt, dass der Oberbürgermeister Deter geflüchtet sei. Daraufhin sei er wieder in die Stadt zurückgekehrt und hätte wieder die Polizeigewalt übernommen. Er bittet die Bevölkerung sich ruhig zu verhalten, von 9 – 12 Uhr könnte jeder seine Einkäufe und Angelegenheiten erledigen. Nach 12 Uhr mittags bis 9 Uhr morgens, müsste sich jeder kriegsmäßig verhalten, dann würde geschossen. Ferner zerstreute er alle Gerüchte , dass der Süden und Osten sich schon ergeben hätten. Kein Stadtteil hätte sich ergeben und Hamm würde sich niemals ergeben !???  Es sollte auch niemand eine weiße Fahne aushängen. Die weiße Fahne am Bunker in der Feidikstraße habe er wieder herunter holen lassen. Auch würde er alles tun und dafür sorgen, dass die Bevölkerung mit genügend Lebensmittel versorgt würde.

Heute Nachmittag hatten wir hier hinten im Westen eine heftige Kanonade zu überstehen. An die hundert Granaten schlugen einige hundert Meter von uns entfernt ein. Die nächsten Granaten schlugen bei Kohlhase ein. Abends sauste eine Serie laut heulend über uns hinweg und ging in der Gegend zwischen De Wendel und Daberg nieder. Es wird erzählt, der Wehrmachtsbericht meldet, dass Hamm vom Feinde gesäubert sei ????

Am Abend bis spät in die Nacht wurde wieder heftig geschossen. Wir mussten daher alle wieder im Keller schlafen. Die Nacht war sehr unruhig. (Siehe Wehrmachtsbericht vom 6.4.45 in der Anlage. Der Verfasser.)

 

7. April 1945. Straßenkämpfe in Hamm. Im Morgengrauen begann der Kampf. Erst ganz vorsichtig fielen einige Maschinengewehrschüsse und Granaten im westlichen Stadtteil. Als es heller wurde, steigerte sich die Kanonade, auch das Maschinengewehrfeuer nahm zu. Als ich um 7 Uhr aus dem Keller stieg um Ausschau zu halten, sah ich einige deutsche Soldaten, die sich vom Römerweg zurückgezogen hatten, an unserer Hausecke in der Siedlung stehen. Das Maschinengewehrfeuer nahm jetzt an Heftigkeit zu. Die Geschosse zischten dicht über uns hinweg. Es hörte sich unangenehm an. Um 8,30 Uhr wurde unsere Siedlung von unseren Soldaten geräumt. Sie zogen sich in die Richtung auf Herringen zurück. Gegen 9,00 Uhr sah ich die ersten angloamerikanischen Panzer am Römerweg auftauchen. Sie blieben dort stehen. Es waren zwei Stück. Ungefähr 10 Mann stiegen aus und suchten die Gegend nach deutschen Soldaten ab. Einige Deutsche ergaben sich. Ein einzelner Soldat der auf der Dortmunder Straße kurz hinter Bauks noch im Graben lag, warf seine Panzerfaust fort und ergab sich. Es ist heute Samstag, 10.15 Uhr morgens. Der Himmel ist wolkenlos. Es ist noch kalt, aber die Sonne steigt immer höher. Es wird ein schöner warmer Tag werden. Während rund um uns die Maschinengewehre knattern und die Granaten krachen, sitze ich in der Küche und schreibe diesen Bericht. Soeben erzählt mir mein kleiner Beobachter, Herbert Portig, 10 Jahre alt, dass die Panzerspähwagen bei Drees und Kohlhase die Waterloostraße entlang führen. Sie führen in Richtung nach Wirtschaft Otto und Flakstellung. Um 11 Uhr kamen die Panzer zurück. Sie waren auf starken Widerstand gestoßen. Sie gingen bis Römerweg zurück. Unsere Soldaten folgten und setzten sich in unserer Siedlung fest. Dann begann ein fürchterliches MG-Feuer. Die Angloamerikaner  schossen in unsere Häuser hinein. Die Geschosse schlugen an unsere Hauswände dass es krachte. Und dann begann der Kampf um die Siedlung. Unzählige Granaten schlugen in der Siedlung ein. Wir saßen im Keller und verzehrten unser Mittagessen.

Es war 12 Uhr Mittag.

Jetzt trat eine kurze Feuerpause ein.

Um 1 Uhr lebte der Kampf wieder auf. Die Angloamerikaner hatten festgestellt, dass unsere Truppen sich in der Siedlung festgesetzt hatten. Eine schwere Kanonade setzte ein. Unsere Siedlung wurde mit Artl. –Feuer völlig zugedeckt. Überall schlugen Granaten ein. In den Straßen, in den Vorgärten und in die Häuser. Mehrere Häuser wurden in der Siedlung getroffen. Auch unser Haus bekam einen Treffer aufs Dach. Eine Granate die bei uns im Vorgarten landete, zertrümmerte unser Fenster. Granatsplitter schlugen durchs Fenster und zertrümmerten die große Spiegelscheibe im Kleiderschrank. Außerdem wurde die Kleiderschranktür von einem Granatsplitter durchbohrt. Durch das Oberlicht des Schlafzimmerfenster drangen mehrere MG-Geschosse in die gegenüberliegende Wand ein. Unsere Wohnung, auch die unserer Mitbewohner, sahen verheerend aus. Die Fenstervorhänge sind heruntergerissen, Die Lampen zersplittert. Dreck, Staub und Glas liegt fingerdick in den Wohnungen. Alle Fenster sind zertrümmert. Die Decke, die Türen und Wände sind schwer beschädigt. Überall stecken noch Granatsplitter. Um 2,30 Uhr flogen einige Bomberverbände in geringer Höhe in der Westostrichtung über uns hinweg. Fliegeralarm gibt es nicht mehr. Wir sind immer in Alarmbereitschaft. Sie flogen so niedrig, dass man sie fast greifen konnte. Aber sie tun uns nichts mehr.

Um 4 Uhr lebte der Kampf wieder auf.

Wir standen auf der Straße und sahen zur angloamer. Front, die immer noch 400 m von uns am Römerweg liegt. Sie hatten im Hause Richter ein M.G. im Schlafzimmerfenster aufgestellt und beschossen unsere Siedlung. Die Geschosse klatschten mit ohrenbetäubenden Geräuschen in unsere Häuser. Während in der Nacht ebenfalls heftige Häuser- und Straßenkämpfe stattfanden und das Hafengelände bis zu den Schrebergärten bis um die Mittagszeit von angloamerikanischen Truppen besetzt waren, hielten unsere Truppen westlich des Römerweges immer noch stand. Der Frontverlauf war um die Mittagszeit etwa folgender: Angloamerikaner: Front vom Kanal bei Tengelmann – Schrebergarten – Römerweg – Unnaer Str. -  Lippmann. Die deutsche Front etwa:  Kanal – Kohlhase – Geflügelfarmsiedlung – Kissinger Weg – Daberg.

Am späten Nachmittag ließ die Gefechtstätigkeit etwas nach. Die deutschen Truppen hatten sich gegen 5,00 Uhr unbemerkt vom Feinde gelöst und waren in Richtung Herringen und Pelkum zurückgegangen. Um 6,30 Uhr folgten die angloamerikanischen Truppen in Richtung Herringen und Pelkum. Einige anglo-Panzer sah man auf dem Herringerweg nach Westen fahren. Damit war das gesamte Stadtgebiet in angloamerikanischer Hand. Die Deutschen haben sich tapfer geschlagen. Aber es war von Anfang an ein aussichtsloser ungleicher Kampf. Während die angloamerikanischen Truppen auf das Modernste ausgerüstet waren, fast jeder Mann hatte eine Maschinenpistole und sonstige gute Waffen, hatten die meisten Deutschen noch nicht einmal ein Gewehr. Sie hatten wohl Panzerfäuste, aber was ist eine Panzerfaust im Kampf Mann gegen Mann. Hier entscheidet nur das Maschinengewehr. Um 6 Uhr abends kamen zwei Nachbarn, die noch am frühen Morgen auf der Zeche gearbeitet hatten, durch die angloamerikanische Front nach Hause und erzählten, dass die Siedlung deswegen beschossen wird, weil hier aus der Siedlung noch immer geschossen wird. Dann wurden sie durchgelassen und sollten, wenn sich kein Soldat mehr in der Siedlung befindet, die weiße Flagge hissen und zurück kommen und Bescheid geben. Andernfalls brauchten sie nicht zurück zu kommen, denn es würde  dann weiter geschossen.  Die Zivilbevölkerung solle die Keller aufsuchen. Die beiden Bergleute gingen dann wieder zur angloamerikanischen Front und meldeten, das die Siedlung frei wäre. Als sie zurück kamen und trotzdem an mehreren Häusern die weiße Flagge gehisst war, wurde doch noch mit M.G. geschossen. Um 7,00 Uhr fiel kein Schuß mehr in unserer Siedlung. Der Kampf um Hamm war beendet. !! Die Kampffront läuft jetzt vom Kanal durch Herringen in südlicher Richtung. Es war ein heißer schwerer Tag. Wir haben ihn glücklich überstanden. Die Einwohner der Siedlung haben sich tapfer und bewundernswürdig verhalten. Nirgends haben sich dramatische Scenen abgespielt, trotzdem  sie 12 Stunden in der vordersten Kampffront ausharren mussten. Um 7,30 Uhr wurde von der Parteileitung ein Sack Bobon gebracht die an die Kinder und Frauen verteilt wurden. Alles in allem kann man wohl sagen: „ Mit Mann und Roß und Wagen, so hat man uns geschlagen“. Wir haben gelitten und gestritten. Hinzuzufügen ist noch, dass die Einwohner der Siedlung auch während des Kampfes sehr neugierig waren. Immer wieder standen sie während der kurzen Kampfpausen an den Hausecken und sahen zur angloamerikanischen Front. Wenn dann wieder die M.G.s und ie Artl. Schoß, verschwanden sie in ihre Keller. Die Bewohner der Siedlung hatten trotz alledem nur zwei Verwundete. Ein Schwerverletzter und ein Leichtverletzter. Beide aus der Eupener Straße.

Endlich um 9,30 Uhr konnten wir uns zur Ruhe begeben. Wir mussten aber noch einmal im Keller schlafen, weil das Schlafzimmer wegen dem Dreck und Staub noch nicht benutzt werden konnte. Der schwerverletzte Zivilist Rogalla aus der Eupener Straße wurde am Abend von angloamerikanischen Sanitätssoldaten abgeholt. Wie ich noch nachträglich erfahre, wurden im Hafengelände eine Anzahl deutsche Gefangene gemacht. Westfalen-Süd und damit das Ruhr-Industriegebiet ist eingekesselt. Die angloamerik. Truppen haben jetzt begonnen, den Kessel zu zerdrücken und zu verengen. Ob es ihnen gelingen wird oder ob der Kessel von den deutschen Truppen zersprengt wird, bleibt abzuwarten.  Die schwersten Kämpfe werden erst kommen, wenn die angloamerikanischen auf unsere Divisionen stoßen, die noch am Rhein kämpfen. Am Abend des heutigen Tages konnte die Bevölkerung der Stadt Hamm die Bunker verlassen. Der größte Teil der Bevölkerung hatte fast eine Woche lang in den Bunkern gehaust. (siehe Wehrmachtsbericht vom 7.4.1945 in der Anlage. Der Verfasser.)

 

8. April 1945. Heute ist Sonntag. Aber nicht für uns. Denn ein neuer Kampftag steht uns bevor. Der Kampf gegen Dreck und Staub.Die Nacht war verhältnismäßig ruhig, trotzdem die Front nur 2 km von hier entfernt ist. Schon in den frühen Morgenstunden waren alle Hände in Bewegung. Mit Besen, Schrubbern, Putzlappen, Scheuerlappen, Ausklopfern und Schüppe ging es diesem neuen Feinde zu Leibe. Am späten Abend war er zum größten Teil  besiegt. Wir konnten nun wieder in unseren Betten im Schlafzimmer schlafen. Im Laufe des heutigen Tages wurden 4 Eier pro Kopf verteilt. Auch ein halbes Brot für die Familie wurde ausgegeben. Die Art.-Tätigkeit war am heutigen  Tage wieder sehr lebhaft. Besonders Herringen und Pelkum lag unter schwerem Artl.-Feuer. Viele Zivilpersonen wurden getötet und verletzt. Auch Zeche Heinrich Robert wurde schwer beschossen. Auch am heutigen Tage verlief die Front noch immer durch Herringen. Am Abend wurde noch immer in Herringen gekämpft. Erst im Laufe der Nacht und am frühen Morgen konnte Herringen von angloamerikanischen Truppen besetzt werden.“

 
Soweit die  Schilderung des Herrn Rethage in seiner ersten Tagebuchkladde, Seiten 1 bis 40. Aus den Wehrmachtberichten von 1939 bis 1945, habe ich die Auszüge der entsprechenden Tage kopiert und in den Anlagen beigefügt. Mein Dank gilt besonders Frau Ilsemarie von Scheven, die mir die Abschrift der Tagebucheintragungen zur Verfügung stellt.