Billet
Marzahl war zuständig für die Auslösung der Luftschutzwarnanlagen. Sein
Arbeitsplatz war in der Luftschutzzentrale im Keller der
Polizeidirektion, Hohe Straße 80. Den nachfolgenden Bericht hat er in
seinem Tagebuch festgehalten und später in einem Brief der damaligen
Stadtarchivarin, Frau von Scheven, zugesandt. Billet-Marzahl ist als
Dolmetscher des Polizeidirektors Dr. Rotmann, am letzten Kriegstag in
der Polizeidirektion festgenommen worden. Zusammen mit Dr. Rotmann wurde
er später in Richtung Ahlen transportiert. Ihm gelang in Heessen die
Flucht, Polizeidirektor Dr. Rotmann konnte bei Ahlen entkommen. Auch
sein Bericht wird noch folgen.
„ Seit
dem 25. Oktober 44, als ein Überraschungsangriff auf den Bahnhof Hamm in
den Mittagsstunden erfolgte, war uns klar, dass die bisherige
Alarmierung vollkommend unzureichend war und ggf. katastrophale Folgen
haben musste.
Was war an
diesem Tage geschehen ?
Seit etwa 10
Uhr vormittags hatten alle Dienststellen „Luftgefahr 15“ über das
Warnkommando Dortmund erhalten. Unsere Fernsprech-Vermittlungen hatten
inzwischen Krankenhäuser, öffentliche Dienststellen und
Industriebetriebe (die WU und WDI machten ja in Kriegsproduktion)
verständigt. Die Einflüge in das „Reichsgebiet“ verstärkten sich. Jedoch
erfolgte keine weitere Alarmstufe. Unsere Damen in der Vermittlung
notierten pausenlos die Einflugmeldungen. Gegen 12 Uhr erreichte mich
ein Anruf „aus dem Keller“, in dem die Vermittlung untergebracht war,
dass immer mehr Einflüge gemeldet worden seien. Ich ging sofort hinunter
und sah aus den letzten Eintragungen die bedrohliche Lage für Hamm. Die
Befehlsstelle (überwiegend Zivildienstverpflichtete) war voll besetzt.
Dem zuständigen Luftschutzoffizier sagte ich: Es ist höchste Zeit für
Alarm! Er brüllte mich an und sagte : Meinen Sie, ich will vor ein
Kriegsgericht kommen ? (Er musste den Befehl des Warnkommandos
abwarten). Darauf ich: Fragen Sie wenigstens in der
Warnkommandozentrale nach, was los ist . (Eine Nebenstelle des
Warnkommandos befand sich in einem Nebenraum unserer Befehlsstelle).
Kaum hatte
er den Raum verlassen, gab ich –auf eigene Faust- Voralarm und forderte
alle Anwesenden auf, sich sofort in den Befehlsbunker Feidikstraße zu
begeben, was auch mit einiger Panik erfolgte, ebenso verließen ca.
weitere 300 Personen aus der Polizeidirektion, nachdem ich den Hausalarm
gegeben hatte, fluchtartig das Gebäude.
Beim Aufheulen der Sirenen kam mein mir
vorgesetzter Oblt. d. Res. zurück und sagte: Ich werde eine Meldung
gegen Sie machen ! Aufgrund der seit Ende September, Schwerpunktmonat
Oktober verstärkten Angriffe auf Hamm, konnte ich mir vorstellen, wie
viele Mütter mit ihren Kindern an der Hand jetzt gehetzt zu den Bunkern
liefen. Daher ließ mich die Androhung auch völlig kalt, ich erwiderte
dem Luftschutzoffizier, dass alle heutigen Opfer dieses erbarmungslosen
Luftkrieges auf sein Konto gingen. Das aber veranlasste ihn nun doch
Vollalarm auszulösen, etwa –2 Minuten nach dem Voralarm. Welche Panik
dadurch auf den Straßen entstand, kann nur der sich ausmalen, der diese
Tage hier in Hamm miterlebt hat.
Hunderte,
wenn nicht tausende Wehrmachtsangehörige, zum größten Teil in Urlaub,
waren an diesem Tage in Hamm. Vor den Bunkern entstand eine ungeheure
Panik. Am Widumbunker und am Bunker Vorheider Weg wurde je eine Frau
totgetreten. Vor dem Bunker Westentor lagen auf einem Erdwall hunderte
von Menschen, die nicht mehr in den Bunker hinein konnten und dort
Splitterschutz suchten, denn kurz nach dem Vollalarm warfen die ersten
RAF-Bomber hochbrisante Sprengbomben in das Gebiet des Hauptbahnhofes,
der ganze Spuk dauerte nur wenige Minuten. Der BDO (Befehlshaber der
Ordnungspolizei – Sitz in Münster)* brüllte durch die Befehlsleitung:
Was ist in Hamm los, wollen sie nicht gefälligst Meldung machen ?. Mein
Kommandeur gab mir den Auftrag sofort zum Bahnhof zu fahren, um zu
sehen, was geschehen war.
Als ich in
meinem Kübelwagen vor dem Bahnhof angekommen war, trugen Landser die
ersten Verletzten in das Postgebäude, an der Fahrkartensperre hatten 2
Landser (ich sah an den Schulterstücken und Armstreifen, Division
Feldherrnhalle) in einer Zeltbahn eine blutige Fleischmasse –und zwei
kleine Jungen schrieen immerfort: Mutter, Mutter !. Ich weiß nicht mehr,
welche Gedanken mir durch den Kopf wirbelten, eines war sicher, die
Ereignisse des missglückten 20. Juli hätte ich sofort nachvollzogen,
wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre.
Ich hetzte
durch den Bahnsteigtunnel, und musste, ich glaube es war Nr. 5 über die
Trümmer des heruntergebombten Bahnsteiges klettern, um nach oben zu
kommen.
Vom Gleis 3
an waren sämtliche Schienenstränge getroffen und standen wie
Korkenzieher in den Himmel.
Wie ein
Wunder waren die Gleise 1 und 2 nicht getroffen worden, und was ich
sah, ließ mich erstarren.
Auf dem
Gleis 1 hatte ein Flüchtlingszug mit Evakuierten aus dem Raum Aachen
gehalten. Bestimmt mehr als 2000 Menschen im Zug, auf dem Gleis 2 ein
Zug mit größten Teilen der Division Feldherrnhalle, die nach Aachen zum
Einsatz sollten.
Ich musste
zurück, um meine Meldung zu machen.
Und an
dieser anschliessenden Besprechung in der Befehlsstelle habe ich- und
ich war nur eine kleine Dienstcharge- den maßgebenden Herren klar gemacht,
welche ungeheure Verantwortung auf ihnen lastete, wenn sie nicht, aber
auch sofort, damit einverstanden wären, dass wir von nun an unsere
eigene Alarmierung vornehmen würden.
Nachträglich
will ich es allen Beteiligten bescheinigen, mein Vorschlag wurde –ohne
Ausnahme- akzeptiert.
Alle
Vorbereitungen hierzu wurden in Tag und Nachtarbeit sofort in Angriff
genommen, und vom 26. Oktober 1944 warnte Hamm –ohne Rücksicht auf
höchste Befehle- nach eigenem Ermessen. Damit aber wurden mit Sicherheit
viele Einwohner dieser Stadt vor einem grauenvollen Tod bewahrt.
Diese
Voreinleitung war erforderlich, um spätere Ereignisse richtig zu
beurteilen.
31. März
1945.
In der
Polizeidirektion, und in meiner Auswertungsstelle häufen sich
nachmittags die Gerüchte, die Amerikaner seien bis nach Heessen und
Bockum-Hövel vorgedrungen. Gegen 17,45 h telefoniere ich mit dem
diensthabenden Arzt der Rettungsstelle III ( Großer Sandweg) : Was gibt
es dort?, meine Frage. Plötzlich sagt er: Es kommen Amerikaner herein !
Ich sage noch : Alles Gute ! und lege auf. Damit ist klar, es kann alles
nicht mehr lange dauern, Weihnachten noch habe ich (intern einigen
Kameraden und Mitarbeitern) gesagt, und ziemlich bestimmt: Ostern ist
hier Schluß.
Bis gegen
19,00 Uhr haben sich die Amerikaner bis etwa zum Schlachthof
vorgearbeitet, wegen Einbruch der Dunkelheit stoppen sie dort ihren
Vormarsch. Fast der gesamte Befehlsstab ist mittlerweile in den
Befehlsbunker Feidikstraße umgezogen. Ich bleibe mit vielen Kameraden
der anderen Dienststellen in der Hohe Straße. Was soll`s, mit
Luftangriffen ist kaum noch zu rechnen.
In den
Abendstunden beginnt dann plötzlich –in Intervallen- Artilleriefeuer –es
muß Panzerari sein, sie steht etwa auf dem Hardinghauser Knapp, etwas
mulmig ist uns bei den Detonationen, die mehr oder weniger im
Stadtgebiet liegen, dann doch. Ab und zu muß einer mal auf`s Klo, und
das liegt behelfsmäßig auf unserem zerbombten Hof, so ein Häuschen mit
einem Herz. Erst gegen morgen ist Ruhe, Sonntagmorgen. Nach dem Arifeuer
der Nacht rechne ich sowieso damit, dass der größte Teil der Bevölkerung
diese Nacht vom 31.März auf den 1. April in den Bunkern verbracht hat,
aber gegen 9 Uhr 30, es kann auch schon fast 10 Uhr sein – gebe ich –
noch haben wir Strom – den letzten Voralarm dieses verdammten
Krieges für den Raum dieser unserer Stadt Hamm.
Zwischen
dem 1. und 7. April wurde es noch mehrmals dramatisch, aber auch dabei
half die Initiative und der persönliche Mit einer ganzen Reihe von
Leuten, und nicht zuletzt von Angehörigen der damaligen Polizei, das
Schlimmste abzuwenden, wovon ich Ihnen gern, wenn es Sie interessiert,
ein andermal berichten kann.
BiM.„
|